Entfernungsberechnung mit Quaternionen und Geodäten
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Der Forschungsbericht 2011 der Hochschule Merseburg (FH), in dem dieser Artikel abgedruckt ist, erscheint erst am 10. November 2011. |
Abschrift des Preprint, eingereicht 2011/06/23
Forschungsbericht 2011 Hochschule Merseburg (FH)
Wie weit ist es von Berlin bis Tokio?
Entfernungsberechnung mit Quaternionen und Geodäten.
Die Anwendungen von Entfernungsberechnungen zwischen zwei Orten auf der Erde sind in der heutigen Zeit vielfältig. Angefangen von Entfernungsberechnungen in der Flugzeug- und Schiffsnavigation über komplexe Geografische Informationssysteme bis hin zur GPS-gestützten Routenführung von Automobilen durch Navigationsgeräte haben alle eines gemeinsam: Zur Berechnung dieser Entfernungen ist eine mathematische Grundlage notwendig.
Die Tatsache, dass die Erde durch ihre Eigendrehung keine Kugel, sondern ein abgeplatteter Rotationsellipsoid ist, macht diese Art von Berechnungen nicht trivial. Dieser Aufsatz stellt zwei verschiedene Lösungsansätze für diese Berechnungen vor und vergleicht die Ergebnisse mit den bereits bestehenden Verfahren.
Keywords: Christoffelsymbole, Dreibein, Differentialgleichungen, Einsteinsche Summenkonvention, Entfernungsberechnung, Erde, Flächenkurven, Fundamentalgrößen, Geodäten, Krümmung, Kugelparametrisierung, Quaternionen, Rotationen, Tangentialebene
Ausgangssituation und theoretische Grundlagen
Die Berechnung der Entfernung zwischen zwei Punkten auf der Erdoberfläche ist nicht trivial, denn die Erde ist keine perfekte Kugel. Tatsächlich hat die Erde, bedingt durch ihre Eigenrotation, die Gestalt eines abgeflachten Rotationsellipsoiden. Um die Position der betrachteten Punkte beschreiben zu können, muss zunächst eine geeignete Parametrisierung dieser Oberfläche erarbeitet werden.
Einstweilen wird daher eine Parametrisierung über die vereinfachende Annahme einer Kugelform hergeleitet und später auf das Modell eines abgeflachten Rotationsellipsoiden überführt.
Parametrisierung der Erde als Kugel
Der Sinn und Zweck der Kugelparametrisierung besteht darin, explizite Zusammenhänge für die
Jeder Punkt
miniatur|rechts|250px|Gradnetz der Erde
Zur Anwendung dieser Parametrisierung auf das Gradnetz der Erde ist eine Winkelanpassung notwendig, denn das Gradnetz der Erde läuft von
Dadurch entsteht nun die endgültige Parametrisierung für einen Punkt
Die Berechnung der Distanz zwischen zwei Punkten auf der Kugeloberfläche ist unter Annahme der Kugelgestalt sehr einfach zu realisieren, da es sich bei der kürzesten Verbindung beider Punkte immer um ein Bogensegment eines Kreises mit Radius
Überführung in einen Rotationsellipsoiden
Durch die Einführung eines »stauchenden« Faktors
Somit kann ein Punkt
Die Berechnung der Distanz zwischen beiden Punkten entlang der Oberfläche des Rotationsellipsoiden ist nun nicht mehr ohne Weiteres möglich.
Entfernungsberechnung mit Quaternionen
Ansatz
Gegeben seien zwei Punkte
Zur schrittweisen Transformation (Rotation) des Rotationsellipsoiden werden Quaternionen verwendet, da sie gegenüber Rotationsmatrizen einige Vorzüge aufweisen:
- kleinerer (numerischer) Rechenaufwand bei verketteten Vektoroperationen
- kompakte Struktur: Quaternionen können mit weniger Speicheraufwand abgelegt werden (4 Elemente, Rotationsmatrix: 9 Elemente)
- Problem des sog. Gimbal Lock, der Verlust eines Freiheitsgrades, wird verhindert
Aufgrund dieser Vorzüge werden Quaternionen häufig in der Luft- und Raumfahrttechnik zur Lageregelung verwendet.
Kurzeinführung in die Quaternionen-Theorie
Quaternionen[4] erweitern die komplexen Zahlen um zwei weitere Dimensionen; es handelt sich somit um hyperkomplexe Zahlen (4-dimensional). Die Struktur ähnelt dabei der komplexer Zahlen: Es existieren ein Realteil und drei Imaginärteile mit den imaginären Einheiten
Eine Koordinate
Rotationen sind mit einem Rotationsquaternion
Verfahren zur Entfernungsberechnung
Beschreibung der Verfahrensschritte
Im ersten Verfahrensschritt wird der Rotationsellipsoid (Gleichung für
Analog zum ersten Verfahrensschritt wird der Ellipsoid nun um die Ordinate derart gedreht, dass
Im letzten Transformationsschritt wird
Mit
Herleitung des Lösungswegs
Die Bogenlänge zwischen zwei Punkten auf einer ebenen, rektifizierbaren Kurve mit dem Parameter
Schließlich ergibt sich der Abstand beider Punkte durch Integration von
Entfernungsberechnung mit Geodäten
Einführung
Die Krümmung
Normalkrümmung einer Flächenkurve: Sei
Die Normalkrümmung
Fundamentaltensor, Bogenlänge, Geodäten
Geodäten sind »geradeste« Flächenkurven, auf ihnen liegen Kurven kürzester Entfernung. Die Krümmung wird auf Geodäten minimal. Das ist genau dann der Fall, wenn die geodätische Krümmung verschwindet und
Ein Kreissegment mit Radius
Das Differential der Bogenlänge
Die Differentialgleichungen der Geodäten lauten für
Genauer ist
Bei einer Ebene ist
Für Kugelkoordinaten nehmen wir
Um Entfernungen auf gekrümmten Flächen zu berechnen, benötigt man noch Randbedingungen und bekommt ein nichtlineares Randwertproblem.
Differentialgleichungssystem 1. Ordnung für die Geodäten
Ein System erster Ordnung mit vier Differentialgleichungen erhält man aus den Differentialgleichungen zweiter Ordnung wie folgt:
Ergebnisdiskussion
Die Proberechnungen mit Mathematica (Ergebnisse siehe Tabelle) zeigen, dass die Ergebnisse der beiden hier neu vorgestellten Verfahren gegenüber dem etablierten Verfahren von Jean Meeus (siehe Literaturverzeichnis) geringfügig abweichen, während die Quaternionen- und Geodätenmethode untereinander lediglich Abweichungen im Meter-Bereich aufweisen.
Meeus | Quaternionen | Geodäten | |
---|---|---|---|
Berlin ↔ Tokio | |||
Paris ↔ Washington | |||
Shanghai ↔ Istanbul | |||
Lagos ↔ Buenos Aires | |||
Kapstadt ↔ Bogota |
Es bleibt zu klären, ob die hier vorgestellten Verfahren somit genauer sind, als das derzeit verwendete Verfahren von Meeus.
Fußnoten
- ↑ Kontakt: mail@rene-schwarz.com
- ↑ Kontakt: hartmut.kroener@hs-merseburg.de
- ↑ Das WGS84 (engl. World Geodetic System 1984) ist ein Referenzsystem für Positionsangaben auf der Erde. Es definiert u.a. den Rotationsellipsoiden der Erde mit seinem Radius der großen Halbachse und seiner Abplattung.
- ↑ Die Menge der Quaternionen wird mit
bezeichnet. - ↑ Die Quaternionenmultiplikation ist nicht kommutativ. Wichtige Rechenregeln für das hier vorgestellte Verfahren:
konjugiert hyperkomplexes Quaternion : Quaternionenmultiplikation (nicht kommutativ): - ↑ Die hochgestellte Ziffer in Klammern links von
bzw. symbolisiert die jeweilige Stufe der Transformation (1: erste Transformation, 2: zweite Transformation, etc. pp.).
Literatur
- Formella, A.; Fellner, D.: Rotation mit Quaternionen. Universität Braunschweig. Online: http://trevinca.ei.uvigo.es/~formella/doc/ig04/node97.html. 2004/2005. Retrieved 2011/06/22.
- Gauß, Carl F.: Disquisitiones Generales Circa Superficies Curvas. 1827. – Deutsche Übersetzung von Wangerin, A. 1889.
- Klotzek, Benno: Einführung in die Differentialgeometrie I. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1981.
- Klotzek, Benno: Einführung in die Differentialgeometrie II. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1983. ISBN 9783326004259.
- Kuipers, Jack B.: Quaternions and Rotation Sequences: A Primer with Applications to Orbits, Aerospace and Virtual Reality. 5th printing. Princeton University Press, Princeton, New Jersey, USA, 2002. ISBN 0691102988.
- Meeus, Jean: Astronomical Algorithms. 2nd edition. Willmann-Bell, Richmond, Virginia, USA, 2009. ISBN 9780943396613.
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